Das Gegenteil von gut gemacht ist gut gemeint –

Die Einstufung der AfD und ihre Konsequenzen.

Kommentar von Jens Baumanns

Es gibt Entscheidungen, die nachvollziehbar, vielleicht sogar notwendig sind – aber deren Wirkung das Gegenteil dessen bewirkt, was beabsichtigt war. Die heutige Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ durch das Bundesamt für Verfassungsschutz fällt genau in diese Kategorie. So richtig die Einstufung der AfD auch sein mag – ihr Timing ist es nicht. Vor allem, weil sie zu spät kommt – und zu einem Zeitpunkt, der in der öffentlichen Wahrnehmung alles andere als souverän wirkt.

Ein solcher Schritt entfaltet nämlich nicht nur juristische, sondern auch massive gesellschaftliche Wirkung. Er betrifft nicht nur eine Partei, sondern auch deren Wähler. Millionen von Menschen sehen sich nun implizit in den Bereich des Verfassungsfeindlichen verschoben. Nicht, weil sie extremistisch denken, sondern weil sie eine Partei gewählt haben, die man ihnen nun nachträglich politisch und moralisch aberkennt.

Gerade jetzt, da die AfD in Umfragen bei 26 Prozent liegt und somit stärkste politische Kraft im Land ist, entfaltet die Einstufung als „gesichert rechtsextremistisch“ eine Sprengkraft, die nicht unterschätzt werden darf. Der Zeitpunkt dieser Maßnahme, gewählt von einer geschäftsführenden Bundesregierung, die bereits vom Wähler abgewählt wurde, wirkt nicht wie der Ausdruck staatlicher Entschlossenheit, sondern wie das Ziehen der Notbremse im Zielbahnhof. Es scheint, als habe man sich jahrelang vor klaren Entscheidungen gedrückt und greife nun, da alle anderen Mittel erschöpft sind, zum letzten verbliebenen Instrument.

Innenministerin Nancy Faeser betonte unmittelbar nach der Verkündung der Entscheidung durch den Verfassungsschutz, dass diese Einstufung selbstverständlich „nicht politisch beeinflusst“ sei. Selbst wenn dies formal korrekt sein mag, entsteht zumindest der Eindruck, dass die politische Führung sich von der Verantwortung distanziert. Vor allem deshalb, weil der politische Kontext kaum unvorteilhafter sein könnte: Eine Koalition, die nur noch geschäftsführend im Amt ist, ein Kanzler, der schweigt, und eine Innenministerin, die sich am Morgen der Verkündung auffällig bemüht von der Entscheidung zu distanzieren. Solche Klarstellungen – ob notwendig oder nicht – wirken in dieser Situation fast schon unfreiwillig komisch. Oder, noch schlimmer: durchschaubar. Denn wenn man es extra betonen muss, dass etwas nicht politisch gesteuert ist, dann hat man das Vertrauen bereits verloren.

Diese Kommunikation verstärkt das Gefühl, dass der Staat nicht mehr aus Überzeugung handelt, sondern aus Verlegenheit. Die Entscheidung wirkt nicht konsequent, sondern kalkuliert; nicht entschlossen, sondern inszeniert: Und genau das – merkt man.

Die politische Klasse hat die AfD nie wirklich gestellt. Ihre Repräsentanten wurden aus Diskussionsrunden ausgeladen, in Ausschüssen gemieden, im Bundestag ignoriert. Diese Strategie des Verschweigens und der sozialen Ächtung hat nicht dazu geführt, die Partei zu entlarven. Sie hat sie gestärkt. Statt ihre Positionen argumentativ zu entkräften, hat man sie zum Tabu erklärt. Wer sich mit der AfD befasst, galt als kontaminiert. Wer sie argumentativ stellte, riskierte moralische Verurteilung.

Auf diese Weise konnte sich die Partei in einer Opferrolle einrichten. Sie profitierte von der Inszenierung als ausgeschlossene Stimme, als einzig wahre Opposition gegen ein abgehobenes System des Establishments. Die eigene Radikalisierung wurde hinter dem Schutzschild der Dämonisierung kaschiert. Weil niemand den Finger auf die inhaltlichen Abgründe legte, blieb der Blick auf sie oberflächlich. So konnte sie an Stärke gewinnen – nicht trotz, sondern wegen der Ignoranz, die ihr entgegenschlug.

Wer sie heute als rechtsextrem einstuft, kommt nicht zu spät, was den Befund betrifft – wohl aber, was die politische Wirksamkeit. In einer Situation, in der die AfD bereits tief in den Institutionen angekommen ist, verpufft ein solcher Schritt nicht nur – er kehrt sich um. Er liefert der Partei und ihren Anhängern den Beleg für all das, was sie seit Jahren behauptet: dass der Staat ihnen feindlich gegenübersteht, dass ihre Meinung nicht zählt, dass man sie um jeden Preis ausgrenzen will.

Besonders brisant ist die begleitende Debatte um ein Parteiverbot. Denn sie transportiert eine Botschaft, die sich nicht mehr trennen lässt von der Einstufung selbst: Die Demokratie soll sich ihrer Gegner entledigen, indem sie ihnen die rechtliche Grundlage entzieht. Politische Auseinandersetzung wird durch juristische Maßnahme ersetzt. Das mag rechtlich argumentierbar sein – politisch und gesellschaftlich ist es verheerend.

Ein Viertel der Wähler ist kein Betriebsunfall

Ein Viertel der Wähler kann man nicht aus dem politischen Raum ausschließen, ohne die Demokratie selbst zu beschädigen. Wer heute ein Parteiverbot fordert, sagt nicht nur etwas über die Partei – er sagt auch etwas über deren Wähler. Die Botschaft lautet: Eure Stimme ist nicht nur falsch – sie ist illegitim. Eure Meinung ist nicht mehr vorgesehen. Eure Perspektive gilt nicht als Teil dieses Staates.

Solche Signale sind Gift für jede politische Kultur. Sie treiben Menschen nicht zurück zur Mitte, sondern tiefer in die Überzeugung, dass sie im eigenen Land nichts mehr gelten. Wer so handelt, vertieft nicht nur die gesellschaftliche Spaltung – er macht sie vollends unüberbrückbar.

Ein funktionierender Rechtsstaat darf sich gegen Verfassungsfeinde wehren, aber eine lebendige Demokratie darf nicht aufhören, zu argumentieren. Sie muss sich mit politischen Gegnern auseinandersetzen, auch wenn diese radikal, laut und unangenehm sind. Wer glaubt, das Problem AfD durch Verbote und Verbannung lösen zu können, irrt.

Denn hinter dieser Partei stehen Millionen von Wählern mit realem Frust, echter Wut und konkreten Sorgen. Mit der Einstufung der AfD werden auch ebendiese Millionen von Wählern auf eine Stufe gestellt. Menschen, die nicht zwingend extrem sind, aber dennoch diese Partei wählen – aus Protest, aus Frust, aus Enttäuschung. Ihre Motive sind vielgestaltig – aber sie sind da und sie verschwinden nicht, wenn man das Sprachrohr verbietet.

Wer diese Gruppe pauschal in einen verfassungsfeindlichen Kontext rückt, riskiert eine Eskalation, die nicht mehr rückholbar ist. Wer nicht unterscheidet zwischen Wählern und Gewählten, verliert genau die, die für die Demokratie noch erreichbar wären. Ein Staat, der nicht mehr unterscheidet, sondern nur noch markiert, riskiert Vertrauen. Genau dieses Vertrauen ist die Währung, mit der Demokratie operiert. Nicht mit Macht, nicht mit Deutungshoheit – sondern mit Legitimität.

Politik darf sich nicht auf juristische Maßnahmen zurückziehen, wenn ihr die Argumente ausgegangen sind. Der Rückgriff auf den Verfassungsschutz ersetzt keine politische Idee. Der Ruf nach einem Verbot ersetzt keinen überzeugenden Gegenentwurf. Die Diagnose mag stimmen – aber die Therapie ist falsch.

Die AfD hätte inhaltlich gestellt, argumentativ entwaffnet, politisch entlarvt werden müssen. Ihre vermeintlich einfachen Lösungen hätten Stück für Stück demontiert werden müssen – im Parlament, in der Öffentlichkeit, in der konkreten Auseinandersetzung mit ihren Forderungen. Die Chance dazu wurde über Jahre vertan. Zu oft hat man geschwiegen. Zu oft gehofft, dass sich das Problem selbst erledigt. Oder man hat den Fehler gemacht, berechtigte Sorgen pauschal zu moralischen Verfehlungen zu erklären:

Kritik an Migration? „Rechts!“
Fragen zur wirtschaftlichen Belastung? „Populismus!“
Skepsis gegenüber wachsender Bürokratie? „Ewiggestrig!“

So funktioniert Demokratie nicht. So entsteht Frust, der sich radikalisiert.

Wer die AfD kleinhalten will, muss den Diskurs wieder öffnen. Ihre Positionen müssen offengelegt, durchdacht, auseinandergenommen werden – nicht nur moralisch, sondern auch inhaltlich. Wer sie dämonisiert, gibt ihr Macht. Wer sie stellt, nimmt ihr die Maske.

Demokratie lebt vom Aushalten. Sie lebt davon, dass man sich streitet – nicht dass man den Streit verbietet. Sie lebt davon, dass man Kritik nicht nur erlaubt, sondern ernst nimmt. Gerade dann, wenn sie wehtut.

Man darf die AfD bekämpfen – ja, man muss, aber man darf nicht glauben, dass das Verbot der Partei auch ihre Wähler verschwinden lässt.

Denn wer Millionen von Menschen signalisiert, dass ihre Meinung nicht zählt, dass ihre Stimme im Zweifel für ungültig erklärt wird, der löscht nicht das Feuer – er wirft die nächste Fackel hinein.

Was jetzt nötig wäre: politische Reife. Argumentative Klarheit. Geduld. Vor allem aber: Unterscheidungsvermögen.

Die AfD ist eine politische Kraft mit rechtsradikalen Zügen – Punkt – aber ihre Wähler sind nicht automatisch Feinde der Demokratie. Wer das vermischt, verliert mehr als Wahlen. Er verliert die Grundlage des Zusammenhalts: Vertrauen.

Wir brauchen kein Parteiverbot, das Debatten ersetzt. Wir brauchen eine politische Kultur, die sich wieder zutraut, die besseren Argumente zu haben. Nicht lauter. Nicht aggressiver. Sondern fundierter.

Denn wenn wir beginnen, demokratische Stimmen als Gefahr zu behandeln, nur weil sie unbequem sind – dann wird aus gut gemeint am Ende genau das: nicht gut gemacht.