Treten Sie zurück, Frau Bas!

Warum ihr Fehltritt nicht ohne Konsequenzen bleiben darf.

Kommentar von Jens Baumanns

In meinem jüngsten Kommentar „Klassenkampf statt Kompetenz“ habe ich beschrieben, wie Bärbel Bas erst beim Deutschen Arbeitgebertag mit einer simplifizierenden Aussage zur Rentenfinanzierung Gelächter auslöste und dann wenige Tage später vor den Jusos aus dieser Szene ein persönliches Erweckungserlebnis strickte. Bereits hier war klar: Hier redet keine Oppositionspolitikerin, die sich auf einem Parteitag warm läuft, sondern die Bundesarbeitsministerin und SPD-Vorsitzende, deren eigentliche Aufgabe darin bestünde, Interessen auszugleichen, nicht Lager zu markieren. Inzwischen hat sich das bestätigt – und verschärft.

Die Reaktionen aus Wirtschaft und Verbänden sind eindeutig. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger spricht von einem „respektlosen“ Auftritt und einem „Aufruf zum Kampf gegen Arbeitgeber“, der in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellos sei. Wer Arbeitgeber bekämpfe, bekämpfe Wohlstand, Arbeitsplätze und soziale Sicherheit.

Der CDU-Wirtschaftsflügel spricht von einer „Fehlbesetzung im Amt“ und selbst aus der Versenkung kommen Stimmen: die FDP fordert offen ihre Entlassung. Ganz pragmatisch ist hingegen das Handwerk: der Präsident des Sächsischen Handwerkstages bezeichnet Bas’ Worte als „wie Öl im Feuer“ einer ohnehin verunsicherten Gesellschaft und lädt die Ministerin gleichzeitig ein, sich in Betrieben ein Bild davon zu machen, wie eng Arbeitgeber und Beschäftigte zusammenarbeiten.

Gleich Fünfzehn Mittelstandsverbände haben in einem gemeinsamen Brandbrief an Bas die „pauschale Abwertung“ des Mittelstands kritisiert und daran erinnert, dass Millionen Unternehmerinnen und Unternehmer täglich Werte schaffen, Innovation ermöglichen und Beschäftigung sichern. Es handelt sich nicht um ein paar empfindliche Lobbyisten, die eine Formulierung übelnehmen. Es handelt sich um ein breites Misstrauensvotum gegenüber einer Ministerin, die die Sozialpartnerschaft, auf der die soziale Marktwirtschaft ruht, mit der Sprache des Lagerkampfes untergräbt.

Genau an diesem Punkt führt kein Weg mehr an der Frage vorbei, die ich in meinem ersten Kommentar bewusst offen gelassen habe: Kann Bärbel Bas dieses Amt noch ausüben? Die ehrliche Antwort lautet: nein.

Eine Arbeitsministerin, die aus eigener Kränkung heraus öffentlich erklärt, „gegen“ wen in diesem Land „gekämpft“ werden müsse, hat ihre Rolle verfehlt. Eine Arbeitsministerin, die mitten im dritten Jahr ökonomischer Stagnation jene Seite zum Feind erklärt, die investieren, ausbilden und Beschäftigung sichern soll, unterminiert das Fundament, aus dem sie den Sozialstaat finanzieren möchte. 

Wer in einer solchen Lage politische Verantwortung trägt, müsste sich fragen, wie viel Vertrauen die Wirtschaft diesem Land eigentlich noch entgegenbringt. Trotz bürokratischer Überlastung, trotz energiepolitischer Irrwege, trotz steuerlicher Bleigewichte investieren unzählige mittelständische Betriebe weiterhin in Deutschland. Sie halten Lehrstellen offen, modernisieren Produktionsstätten, wagen Innovationen, obwohl ihnen die Rahmenbedingungen dafür täglich erschwert werden. 

Diese Unternehmen sind nicht die Gegner sozialer Sicherheit, sie sind ihre Existenzgrundlage. Der eigentliche Wahnsinn liegt darin, dass ausgerechnet jene, die diese Grundlage bereitstellen, nun zu Statisten in einem sozialromantischen Weltbild degradiert werden, das mit der Realität eines wirtschaftlich erschöpften Landes nur noch am Rand Berührung hat. Die „Herren im Maßanzug“, die Bas so gern als Feindbild bemüht, sind in Wahrheit die Menschen, die morgens als Erste das Licht in der Firma einschalten und abends als Letzte den Arbeitslaptop zuhause zuklappen, ganz ohne Maßanzug.

In vielen Fällen sind es Familienunternehmer, die sich seit Generationen durch Krisen manövrieren und in lokalen Gemeinschaften Verantwortung tragen, lange bevor sich irgendein SPD-Bundesvorstand jemals dorthin verirrt hat. Das perfide an Bas’ Rede ist nicht die Zuspitzung, sondern die Haltung dahinter: ein tief sitzendes Misstrauen gegenüber jenen, die etwas schaffen, statt nur darüber zu sprechen. Wer Arbeitgeber pauschal als Gegner sozialer Sicherheit markiert, offenbart ein ökonomisches Weltbild, das in den 1970er-Jahren stehen geblieben ist – mit dem entscheidenden Unterschied, dass die SPD damals noch Politiker hervorbrachte, die wussten, wie man Verantwortung trägt. 

Heute produziert sie Funktionäre, die sich auf Parteitagen von ideologisch vorgefertigten Wahrheiten tragen lassen und jede Wirklichkeit ausblenden, die nicht in das gewünschte Narrativ passt. Bärbel Bas steht damit beispielhaft für eine SPD, die sich von ihrer historischen Rolle entfernt hat. Eine Volkspartei, die einst stolz darauf war, Brücken zu bauen zwischen Kapital und Arbeit, stilisiert nun den einen Teil dieser Brücke zum Feindbild, während der andere Teil sie begeistert dafür beklatscht. Das Ergebnis ist ein politisches Vakuum, in dem wirtschaftliche Vernunft durch moralische Selbstüberhöhung ersetzt wird. 

Die Frage der Fragen

Die Frage lautet deshalb nicht mehr, ob Bas sich versprochen hat, ob sie übers Ziel hinausschoss oder ob ihr nur die Emotionen durchgingen. Die Frage lautet, ob eine Ministerin, die in einer der wirtschaftlich fragilsten Phasen der Bundesrepublik so agiert, auch nur einen Tag länger Vertrauen beanspruchen kann. Vertrauen ist keine ideologische Währung – es basiert auf Kompetenz, Souveränität und der Fähigkeit, Konflikte zu moderieren, statt sie künstlich anzufeuern. Ein Rücktritt wäre kein Strafmaß, sondern ein Befreiungsschlag – für die Glaubwürdigkeit des Amtes, für die Bundesregierung und vor allem für jene Millionen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die auf eine Politik angewiesen sind, die sie nicht zu Spielfiguren in einem künstlichen Klassenkampf degradiert. 

Eigentlich müsste der Bundeskanzler handeln, wenn er seiner Verantwortung gerecht werden will. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist gering, denn Entschlossenheit gehört nicht zu den prägenden Eigenschaften des amtierenden Regierungschefs. Dennoch bleibt der Satz richtig: Eine Ministerin, die offen erklärt, „gegen“ jene zu kämpfen, die dieses Land wirtschaftlich tragen, ist im Kabinett fehl am Platz.

Doch wer im Glashaus sitzt…

Damit rückt zwangsläufig der Blick auf den Bundeskanzler. In einer stabilen politischen Kultur wäre klar: Wer als Ressortchef eine zentrale Ordnungsidee der Republik mutwillig beschädigt, wird vom Regierungschef aus dem Amt entlassen. Kanzler Merz weiß um die Tragweite der Äußerungen; in der Unionsfraktion soll er von einem inakzeptablen Auftritt gesprochen haben.

Seine eigene jüngste Bilanz macht es ihm allerdings nicht leichter, Autorität zu beanspruchen. Auf der Weltklimakonferenz in Belém löste er mit einer Bemerkung über die Stadt einen diplomatischen Flurschaden aus: Er stellte vor heimischem Publikum heraus, wie froh alle gewesen seien, Belém wieder verlassen zu haben – eine Aussage, die in Brasilien als arrogant und herablassend aufgefasst wurde und den Präsidenten Lula zu deutlicher Kritik veranlasste. Merz weigert sich bislang, sich dafür zu entschuldigen; die Bundesregierung versucht, den Vorfall als Missverständnis abzutun.

Kurz darauf folgte die nächste Irritation: Nach seiner Afrikareise, bei der Merz am Gipfel der Europäischen und der Afrikanischen Union in Luanda teilnahm, erklärte er bei einem Termin in Hamburg, man merke im Ausland jedes Mal, „was man am deutschen Brot hat“; in Luanda habe er am Frühstücksbuffet vergeblich nach einem „ordentlichen Stück Brot“ gesucht. Hätte es doch bloß Kuchen gegeben oder einen bekannten Schokoriegel mit hohem Erdnussanteil… honi soit qui mal y pense.

Beides sind natürlich keine Staatsverbrechen, aber es sind Zeichen dafür, wie leichtfertig auch an der Spitze des Regierungsamts mit Wirkung und Würde des Amtes umgegangen wird. Wer außenpolitisch mit flapsigen Sätzen stolpert, steht innenpolitisch schwächer da, wenn es darum geht, Konsequenzen von anderen einzufordern.

Und dennoch…

Trotzdem entlässt diese Schwäche den Kanzler nicht aus seiner Verantwortung. Denn die eigentliche Sprengkraft liegt längst nicht nur in Belém oder Luanda, sondern im Inneren der schwarz-roten Koalition. Das Bündnis aus CDU/CSU und SPD war von Beginn an eine Zweckgemeinschaft. Inzwischen gleicht es einem politischen Schwelbrand. Das Rentenpaket, das als teuerstes Sozialprojekt seit Jahrzehnten kritisiert wird, sorgt nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Union für erheblichen Widerstand.

Bärbel Bas hat diesen Schwelbrand zur offenen Brandgefahr gemacht. Ihre Koalitionsbruchs-Drohungen in der Rentenfrage, ihre Kampf-Rhetorik gegen Arbeitgeber, der Brandbrief des Mittelstands, die Forderung der FDP nach ihrer Entlassung – all dies hat die Lage so zugespitzt, dass ein Bruch der Koalition so wahrscheinlich ist wie nie zuvor.

Besonders bitter ist, wem diese Instabilität in die Hände spielt. Die Union vereint deutlich mehr Stimmen als ihr sozialdemokratischer Partner, lässt sich aber von einer SPD treiben, die sich längst eher wie eine lautstarke Minderheitenpartei verhält, statt wie ein verlässlicher Koalitionspartner. Artikel und Analysen sprechen offen davon, dass die SPD den Kanzler „fest im Griff“ habe und mit ihm „Hardball“ spielt. Ein größerer Koalitionspartner, der sich von einem kleineren permanent in die Ecke drängen lässt, wirkt nicht souverän, sondern getrieben.

Genau hier liegt die eigentliche Bewährungsprobe.

Wer nur deshalb auf eine Entlassung verzichtet, weil der Koalitionspartner dann mit dem Bruch droht, akzeptiert, dass die Würde und Glaubwürdigkeit eines Amtes zur Verhandlungsmasse wird. Wer in dieser Lage Bas im Amt belässt, sendet ein klares Signal: Die Regierung ist bereit, die Grundlagen der Sozialpartnerschaft und das Vertrauen der Wirtschaft zu opfern, um ein wackliges Bündnis noch ein paar Monate zu retten.

Politik der Mitte müsste anders aussehen. Eine konservative, ordnungspolitisch verankerte Regierung müsste in dieser Situation sagen: Das Amt ist mehr wert als die persönlichen Befindlichkeiten der Koalitionspolitiker. Die Sozialpartnerschaft ist wichtiger als der Frieden im Koalitionsausschuss. Der Schaden, den eine Arbeitsministerin im Dauer-Klassenkampf anrichtet, wiegt schwerer als das Risiko, eine ohnehin verschlissene Koalition zu verlieren.

Bärbel Bas hat mit ihrer Rede vor den Jusos nicht nur die falschen Gegner gewählt. Sie hat gezeigt, dass sie das Wesen ihres Amtes nicht begriffen hat. Arbeitgeber sind in einer sozialen Marktwirtschaft keine gegnerische Armee. Sie sind konfliktbeladene Partner, ohne die es keine Löhne, keine Steuern, keine Renten gäbe. Wer das nicht sehen will, sollte kein Arbeitsministerium führen.

Es bleibt deshalb nur eine konsequente Schlussfolgerung:

Bärbel Bas sollte anständigerweise selbst zurücktreten. Tut sie es nicht, muss der Bundeskanzler sie entlassen – auch auf die Gefahr hin, dass die SPD den Koalitionsbruch wagt. Angesichts der aktuellen Umfragen wäre das allerdings politischer Selbstmord.

Deutschland braucht in der Krise keine Klassenkämpfer im Kabinett und keinen Kanzler, der vor dem schwächeren Koalitionspartner kuscht. Deutschland braucht Verantwortungsträger, die bereit sind, im Zweifel die schwierigere Entscheidung zu treffen.

Genau deshalb ist jetzt der Moment für eine solche Entscheidung.


Weitere meiner Kommentare und Essays gibt es hier.