Klassenkampf statt Kompetenz

Was Bärbel Bas’ Auftritt über den Zustand der SPD verrät.

Kommentar von Jens Baumanns

Politik kennt Fehler, sie kennt Verantwortungslosigkeit und wiederum gibt es politische Szenen, in denen sich die Frage stellt, ob hier nur jemand einen schlechten Tag hatte – oder ob die Person schlicht nicht an der richtigen Stelle sitzt. Der jüngste Doppelauftritt von Bärbel Bas liefert eine klare Antwort: Diese Frau ist dem Amt der Bundesarbeitsministerin nicht gewachsen.

Die Fakten sind schnell erzählt. 

Beim Deutschen Arbeitgebertag verteidigt Bas das Rentenpaket der Bundesregierung, das maßgeblich von der SPD geprägt wurde. Sie erklärt mit ernster Miene, die Stabilisierung des Rentenniveaus belaste die Beitragszahler nicht, weil sie aus Steuermitteln finanziert werde. Der Saal voller Unternehmer und Fachleute reagiert nicht mit höflichem Murmeln, sondern mit offenem Gelächter. ZDF, Tagesspiegel, Welt, Morgenpost – alle berichten dasselbe: Der Satz löst hörbare Heiterkeit aus, die Ministerin gerät kurz aus dem Konzept, mahnt, das sei „überhaupt nicht lustig“. 

Der Grund für das Gelächter liegt nicht im Zynismus des Publikums, sondern in der Schlichtheit der Aussage. In einem Land, in dem die meisten Menschen gleichzeitig Steuerzahler und Beitragszahler sind, wirkt der Versuch, Belastung einfach vom einen auf den anderen Topf zu verschieben und dann zu behaupten, niemand werde belastet, bestenfalls naiv. Im schlimmsten Fall verrät er, dass die eigene finanzpolitische Erzählung wichtiger ist als die Realität der Leute, die das alles bezahlen sollen. Zur Ehrenrettung der Ministerin haben einige Kommentatoren bemüht erklärt, ihr Satz sei im technischen Sinne gar nicht falsch, weil die „Haltelinie“ tatsächlich über Steuern finanziert werde. 

Das mag im Detail clever klingen, löst das Grundproblem jedoch nicht: Wer auf einer Bühne voller Arbeitgeber und Ökonomen so argumentiert, als säße er in einem SPD-Ortsverein, muss sich über Gelächter nicht wundern. Die Szene war kein Ausrutscher, sie war ein Symptom. 

In normalen Zeiten wäre das bereits ein politischer Tiefpunkt, doch wir leben nicht in normalen Zeiten. Deutschland steckt im dritten Jahr in Folge in einer Rezession. Die Industrie stöhnt, der Mittelstand blutet aus, Investitionen brechen ein, und selbst ehemals robuste Unternehmen ringen um Planbarkeit und Vertrauen. Die Wirtschaft befindet sich in einem Zustand chronischer Erschöpfung – nicht wegen eines globalen Unwetters, sondern wegen hausgemachter Fehler, regulatorischer Überforderung und einer Regierung, die in den entscheidenden Momenten lieber konferiert, als führt.

Wirklich entlarvend wurde es erst wenige Tage später: Auf dem Juso-Bundeskongress erzählt Bas diese Episode nicht als Anlass zur Selbstkorrektur, sondern stilisiert sie zum persönlichen Erweckungserlebnis. Der Arbeitgebertag sei für sie ein „Schlüsselerlebnis“ gewesen, weil dort „besonders deutlich geworden“ sei, „gegen wen wir eigentlich gemeinsam kämpfen müssen“. 

Wer das sei, illustriert sie gleich mit: „Die Herren – ja, meistens waren es Männer – in ihren bequemen Sesseln, der eine oder andere im Maßanzug“, die sinngemäß sozialer Sicherheit skeptisch gegenüberstünden. Die Linien verliefen „zwischen Arm und Reich, zwischen denen, die Sicherheit brauchen und denen, die sie für verhandelbar halten“. 

Damit verlässt Bärbel Bas endgültig den Bereich legitimer Zuspitzung. Hier spricht nicht eine Oppositionsrednerin auf einer Parteiveranstaltung, hier spricht die Bundesministerin für Arbeit und Soziales. Eine Frau, deren Kernauftrag darin besteht, die Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in einem hochkomplexen Sozialstaat auszubalancieren. Eine Arbeitsministerin, die nach einem Auftritt bei den Arbeitgebern öffentlich erklärt, erkannt zu haben, „gegen wen“ man „kämpfen“ müsse, dokumentiert vor laufenden Kameras, dass sie ihr eigenes Amt nicht verstanden hat. 

Sozialpartnerschaft lebt vom Konflikt – aber nicht vom Feindbild. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände ringen hart um Löhne, Renten, Arbeitsbedingungen. Genau dafür wurde dieses System geschaffen. Der Staat soll hier Rahmen setzen, moderieren, vermitteln, Regeln definieren. Er soll nicht einem Teil der Sozialpartner aus der Regierung heraus bescheinigen, die eigentliche Gegenseite in einem Kampf zu sein. Die Reaktionen aus der Wirtschaft sind entsprechend deutlich. 

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger spricht – zurecht – von einer „respektlosen“ Aussage und einem „Aufruf zum Kampf gegen Arbeitgeber“, der in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellos sei. Wer Arbeitgeber bekämpfe, bekämpfe Wohlstand, Arbeitsplätze und soziale Sicherheit. Der Präsident des Sächsischen Handwerkstages nennt ihre Worte „wie Öl im Feuer“ einer ohnehin verunsicherten Gesellschaft und lädt Bas ein, sich in realen Betrieben anzusehen, wie eng Arbeitgeber und Beschäftigte täglich zusammenarbeiten. 

Es handelt sich nicht um ein paar empfindliche Verbandsfunktionäre, die eine rhetorische Spitze übelnehmen. Es handelt sich um eine fundamentale Irritation darüber, dass eine Bundesministerin nicht mehr zwischen Parteitag und Regierungsverantwortung unterscheidet. An dieser Stelle reicht es nicht, von „unglücklicher Wortwahl“ zu sprechen:

Der Vorgang ist strukturell und er offenbart drei Ebenen der Überforderung: 

Erstens: fachlich. 

Wer beim Arbeitgebertag mit einem Satz zur Rentenfinanzierung Gelächter auslöst, hat seine Argumentationslinie entweder nicht durchdacht oder unterschätzt sein Publikum. Beides ist für eine Arbeitsministerin kein Schönheitsfehler, sondern ein Hinweis auf mangelnde Souveränität in einem Kernbereich des Ressorts. 

Zweitens: kommunikativ. 

Wer auf Gelächter nicht mit Nachschärfung der Argumente reagiert, sondern Tage später vor der eigenen Parteijugend den „Kampf“ gegen diejenigen ausruft, die gelacht haben, zeigt eine Mischung aus verletzter Eitelkeit und mangelnder Professionalität. Politik ist kein persönliches Kränkungstagebuch. Gerade in einem Konfliktfeld wie Rente und Lohnnebenkosten braucht es dickes Fell und klare Argumente – keinen Rachemonolog vor Wohlfühlpublikum. 

Drittens: rollenbezogen. 

Bärbel Bas ist nicht nur SPD-Vorsitzende, sie ist Bundesministerin. Wer in dieser Funktion Arbeitgeber figurenhaft als „Herren im Maßanzug“ zeichnet und aus einem sachlichen Interessenkonflikt einen moralisch aufgeladenen Lagerkampf macht, beschädigt das Amt. Eine Partei darf polarisieren, ein Ressort wie Arbeit und Soziales nicht. 

Ich fragte scherzhaft in einer Unterhaltung mit einem Bekannten, ob das schon „berufsunfähig“ im juristischen Sinne sei. Natürlich nicht. Leider. Politisch allerdings beschreibt es den Zustand treffend. 

Ein Amt dieser Bedeutung verlangt mehr als Gesinnung und Schlagworte. Es verlangt intellektuelle Redlichkeit, ökonomisches Grundverständnis, Kommunikationsdisziplin und die Fähigkeit, zwischen Regierungshandeln und Parteirhetorik klar zu trennen. Bas liefert in allen vier Kategorien Minuspunkte. 

Die SPD macht es nicht besser. Statt eine Ministerin einzufangen, die den Bogen deutlich überspannt, klatscht sie auf dem Juso-Kongress brav Beifall. Eine Partei, die sich einmal als Garant sozialer Balance verstand, jubelt heute einer „Kampf“-Rhetorik zu, die genau diese Balance zerstört. Das ist mehr als peinlich. Das ist ein selbstverschuldeter Vertrauensverlust bei all jenen, die von einer Regierungspartei erwarten dürfen, dass sie auch die Seite ernst nimmt, die Löhne zahlt, Risiken trägt und in diesem Land investiert. 

Man kann unterschiedlicher Meinung sein über die richtige Rentenpolitik. Man kann auch darüber streiten, wie viel Umverteilung ein Sozialstaat leisten soll. Was man von einer Arbeitsministerin jedoch erwarten darf, ist dies: dass sie Arbeitgeber nicht zum Feind erklärt, nur weil diese ihr widersprechen – und dass sie ein Amt, das auf Vertrauen angewiesen ist, nicht als Bühne für unprofessionelle Kampfansagen missbraucht.

Bärbel Bas hat in wenigen Tagen gezeigt, wie man sich auslachen lässt, nichts daraus lernt und am Ende die falschen Gegner wählt. Wenn eine Ministerin aus eigenem Versagen eine Kampfansage strickt und ihre Partei darin Stärke sieht, dann ist nicht der Maßanzug das Problem. Dann ist das Problem die Maßlosigkeit. Die eigentliche Gegnerin ist in diesem Fall nicht die Wirtschaft. Es ist die eigene Unfähigkeit, dem Amt gerecht zu werden.


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