Der Staat als stiller Teilhaber

SPD-Steuerpläne: Kein Risiko, aber mitkassieren

Kommentar von Jens Baumanns

Es ist ein bewährtes Prinzip politischer Instinktlosigkeit: Wenn die eigene Bilanz sich nicht mehr schönrechnen lässt, erklärt man kurzerhand die Leistung anderer zum Problem. Genau so liest sich der jüngste Vorstoß der SPD zur stärkeren Besteuerung von Kapitaleinkünften. Verpackt als sozialpolitisches Korrektiv, angekündigt mit der immer gleichen Beruhigungsformel – „nur das obere Prozent“ –, zielt er in Wahrheit auf eine immer größere Gruppe: auf alle, die sich durch eigenes Sparen, Investieren und Risiko ein Stück Unabhängigkeit erarbeitet haben.

Diese Menschen bauen ihr Vermögen nicht aus dem Nichts auf. Sie tun es mit dem, was vom Nettolohn übrig bleibt – also mit bereits versteuertem Einkommen. Aus genau diesem Geld entstehen Rücklagen, ETF-Depots, Immobilienbeteiligungen, langfristige Vorsorge. Das Kapital wurde bereits besteuert. Jetzt soll auch dessen Ertrag noch einmal herangezogen werden – im Zweifel in immer neuen Stufen, je nach Kassenlage. Wer so agiert, argumentiert nicht mit Gerechtigkeit. Er praktiziert Doppelbesteuerung mit ideologischem Anstrich.

Das Rentensystem selbst gleicht mittlerweile einem Kartenhaus – gestützt von einer schrumpfenden Beitragsbasis und einer Anspruchsmentalität, die sich jeder ökonomischen Realität entzieht. Seit Jahrzehnten wurde es nicht grundlegend reformiert. Die Politik hangelt sich von Generationenversprechen zu Generationenbruch. Das Loch in der Kasse wird größer – und wer soll es stopfen? Natürlich der Bürger, der noch etwas hat.

Dabei trägt der Staat kein Risiko. Er investiert keinen Cent. Wenn die Märkte fallen, wenn das Depot temporär ins Minus rutscht, steht niemand aus dem Finanzministerium bereit, um Verluste auszugleichen. Doch sobald sich ein Buchgewinn zeigt, taucht der Staat auf – wie ein schlecht gelaunter Hauptaktionär, der nie etwas beigetragen hat, aber nun auf Ausschüttung besteht. Erfolgsbeteiligung? Selbstverständlich. Verluste? Nicht zuständig. Das ist kein fiskalisches Prinzip – das ist fiskalische Dreistigkeit.

Die Argumentation der SPD ist ebenso simpel wie schief: Wer etwas besitzt, kann auch etwas abgeben. Dass Besitz jedoch nicht von selbst entsteht, sondern aus Verzicht, Disziplin und langem Atem – das wird konsequent ignoriert. Sparen, investieren, Rücklagen bilden: Das ist keine Dekadenz. Es ist der Versuch, sich gegen ein System zu wappnen, das längst nicht mehr in der Lage ist, für eine angemessene Altersvorsorge zu sorgen.

Der Staat hat sich aus dieser Verantwortung längst verabschiedet. Er verwaltet lieber statt zu gestalten, verspricht lieber statt zu liefern – und reicht die Quittung am Ende an jene weiter, die sich rechtzeitig Gedanken gemacht haben. Das ist keine Umverteilung. Das ist eine Umkehr der Verantwortung.

Während Minister über „leistungslose Einkommen“ referieren, erleben Millionen Bürger tagtäglich, dass das einzig leistungslose System jenes ist, das Ansprüche ohne Gegenleistung produziert. Es schöpft aus Werten, die es nicht geschaffen hat. Es verteilt Vermögen, das es nie erwirtschaftet hat. Es ruft nach Gerechtigkeit – aber meint Zugriff.

Ich für meinen Teil habe beschlossen, den Spieß umzudrehen: Wenn sich der Staat wie ein Anteilseigner verhält, der auf meine Erträge spekuliert, ohne jemals investiert zu haben, dann bekommt er von mir künftig die Rechnung: Verwaltungskostenpauschale, Risikoprämie, Strategiegebühr und zwar rückwirkend. Ich mache nicht den Staat reich – ich sichere meine Altersvorsorge. Wer das angreift, greift nicht nur mein Depot an, sondern meine Unabhängigkeit. Es ist ein einfaches Prinzip: Wer nichts investiert, soll auch nichts bekommen.

Was die SPD hier vorlegt, ist keine Steuerpolitik, sondern ein kalkulierter Zugriff auf die Substanz der Eigenverantwortlichen. Ein Staat, der nicht mitträgt, aber mitkassiert, disqualifiziert sich nicht nur wirtschaftlich – sondern moralisch. Wer immer neue Lasten auf dieselben Schultern verteilt, darf sich nicht wundern, wenn diese irgendwann das Land verlassen.

Die Frage ist nicht, ob diese Pläne kurzfristig ein paar Milliarden einbringen. Die Frage ist, was langfristig bleibt, wenn Sparen zur Dummheit erklärt wird, Investieren zur Gefahr – und der Staat sich zum stillen Teilhaber aufspielt, dem jedes Risiko fremd ist, der aber im Gewinnfall mit am Tisch sitzt.

Das hier ist keine Steuerpolitik. Es ist fiskalisch verbrämte Enteignung. Eine Politik, die nicht reformiert, sondern redistribuiert. Nicht gestaltet, sondern abschöpft. Wer auf diese Weise Eigentum bekämpft, zeigt vor allem eines: dass ihm jede Idee ausgegangen ist – außer der, sich beim Bürger zu bedienen, der noch etwas besitzt.

Das ist keine Politik für eine Gesellschaft der Verantwortung. Das ist die letzte Ausfahrt vor dem Offenbarungseid.