Wer steht heute wo?
Kommentar von Jens Baumanns

Was sich täglich zwischen Marienthal und Wandsbek abspielt, ist kein Ärgernis – es ist ein systemisches Organversagen. Der Begriff Verkehrsinfarkt trifft es wörtlich: Die Robert-Schuman-Brücke, Hauptschlagader des Hamburger Ostens, ist verstopft wie ein Herzkranzgefäß kurz vorm Kollaps. Doch statt Not-OP betreibt die Stadt lieber Gefäßverengung mit Ansage – in Form immer neuer Baustellen, die ohne Koordination aufeinanderprallen wie Cholesterin auf Bluthochdruck.
Die Folge: Stau auf Rezept. Baustellen? Gibt’s nicht einzeln – sondern im Dutzend billiger. Kaum ist eine eingerichtet, kommt die nächste dazu. Wer in Hamburg unterwegs ist, fährt nicht – er weicht aus, oder versucht es zumindest. Wandsbek Markt? Ein Dauerstau-Monument. Umleitungskonzepte? Fehlanzeige. Verkehrsfluss? Ein historisches Konzept mit Auslaufmodell-Status.
Wer dachte, man könne in Hamburg guten Gewissens auf das Auto verzichten, steht jetzt vor der Realität wie ein Passant im Starkregen ohne Unterstand. Die U1? Regelmäßig überfüllt. Busse? Überlastet und ebenfalls im Stau steckend. Wer hineinpasst, darf sich glücklich schätzen – wer draußen bleibt, ist meistens doch zu Fuß schneller.
Ich war naiv genug zu glauben, der Hamburger Nahverkehr sei gut genug, um auf ein Auto zu verzichten. Heute stehe ich trotzdem im Stau – nicht hinter dem Steuer, sondern eingeklemmt im Bus, Stoßstange an Stoßstange mit den verteufelten Autos, die genauso wenig vorankommen. Die Ironie? Wir teilen dasselbe Schicksal, nur auf unterschiedlichen Sitzplätzen und während man so gemeinsam wartet und auf Pünktlichkeit angewiesen ist, rückt der Jobverlust bedrohlich näher – nicht wegen Unzuverlässigkeit meinerseits, sondern wegen einer Verkehrspolitik im Blindflug: ohne Kurs, ohne Koordination, ohne Verantwortung.
Wäre das alles nicht schon grotesk genug, setzt die Haltestelle Ziesenißstraße der Planung noch die Krone auf: Sie ist der Blinddarm des Nahverkehrs, liegt ausgerechnet auf der ohnehin chronisch überlasteten Robert-Schumann-Brücke und wirkt dort wie ein verkehrspolitischer Bremsklotz mit Haltestellenschild. Jeder haltende Bus blockiert den letzten verbliebenen Verkehrsfluss und treibt den Stau bis ins Absurde. Zu nah an Wandsbek Markt, barrierefrei wie ein Kohlekeller und überflüssig wie ein Fahrstuhl im Bungalow – doch offenbar unantastbar im Verwaltungsdenken. Wer diese Haltestelle verteidigt, hat nicht nur den Überblick verloren, sondern auch jeden Bezug zur Lebensrealität der Betroffenen.
Was also tun? Kapitulieren? Weiter durchhalten, in der Hoffnung, dass Vernunft irgendwann wieder Einzug hält? Nein. Jetzt ist der Moment für Klartext.
Zeit für eine Mobilmachung
- Sofortiger Stopp aller nicht zwingend notwendigen Baustellen im Raum Wandsbek/ Marienthal.
- Bessere Baustellenkoordination & -planung durch Fachleute sowie Turbobaustellen.
- Verbindliche Einbindung der HOCHBAHN in jede Bau- und Verkehrsplanung – mit echter Einflussmöglichkeit.
- Ersatzlose Streichung der Haltestelle Ziesenißstraße – zumindest während der Bauphase um Wandsbek Markt als Zeichen für eine neue Ernsthaftigkeit.
- Öffentliche Rechenschaft durch Verwaltung und Politik – mit Namen, Verantwortungsbereichen und Konsequenzen.
- Ein sozial gerechtes, realistisches Verkehrskonzept, das nicht Autos verteufelt, sondern durch den ÖPNV eine echte und vor allem bessere Alternative bietet: der Umstieg muss sich lohnen.
Was hier passiert, ist keine Petitesse. Es ist ein strukturelles Versagen mit realen Folgen. Menschen verlieren Zeit, Nerven, im schlimmsten Fall ihren Arbeitsplatz – und das alles im Namen einer „Verkehrswende“, die bislang vor allem eines produziert: Stillstand.
Man kann die Bürger nicht zur Veränderung erziehen, wenn man ihnen gleichzeitig jede funktionierende Alternative nimmt. Wer so Politik macht, betreibt keine Transformation – er betreibt Verhinderung.
Hamburg braucht nicht mehr Baustellen, sondern mehr Verstand. Es ist an der Zeit, dass die Verantwortlichen sich bewegen – bevor die Bürger es nicht mehr können.
Weitere meiner Kommentare und Essays gibt es hier.